Mittwoch, 7. Juni 2006
Revier-Dönekes zur WM
Revier-Dönekes
Das Ruhrgebiet, das ist ein Stück Rheinland und ein Stück Westfalen und inzwischen ein Völkergemisch aus Polen, Belgiern, Italienern, Türken und vielen anderen Nationalitäten.
Historisch gesehen war das Ruhrgebiet immer schon ein Land der Fremden, die diese Region nachhaltig prägten. Die Montanindustrie lockte Menschen aus den Niederlanden, die ihre Liebe zum Fisch mitbrachten. Belgier machten den Endiviensalat und die Esskultur des Spargels bekannt. Viele Zutaten für die Ruhrgebietsküche lieferten aber auch die Nachbarregionen. Als Beispiel sei hier der rheinische Sauerbraten und der westfälische Pfannkuchen erwähnt. Den Stielmus sucht man in Hamburg sicherlich vergebens, denn außer im Revier wird er nur noch in Frankreich geschätzt, und man sagt, Napoleon habe ihn hierher mitgebracht als er mit seinen Truppen hier durchzog. Auch sprachlich fand dieses Ereignis in der Redewendung "mach keine Fissematenten" durchaus seinen Niederschlag, eine sprachliche Verformung der Aufforderung französischer Soldaten an ein Mädchen, ihr Zelt aufzusuchen (Visite ma tente). Heute hat es die Bedeutung, keinen Zwergenaufstand also nicht viel Aufhebens um Nichts zu machen.
Kulinarisch gesehen ist das Ruhrgebiet ein Eintopfland. Immer gleich und doch immer anders.
Kartoffeln, Fleisch und vor allem Gemüse köcheln gemeinschaftlich vor sich hin. Das hat seinen Ursprung darin, dass man in frühen Zeiten nur eine einzige Feuerstelle hatte und deshalb auf das Kochen in einem Pott angewiesen war. Erbsen, weiße oder grüne Bohnen, Linsen, Sauerkraut, Grünkohl, Stielmus, Möhren mit Speck, Fleisch, Kartoffeln verfeinert mit verschiedenen und geheimsten Gewürzmischungen sättigen in Fußgängerzonen, auf Volksfesten, vor dem Fußballspiel oder auf Betriebsfeiern Jung und Alt.
Die unterschiedlichen Zutaten wirken zusammen und ergeben im Pott- wie die Region auch liebevoll genannt wird- eine ganz neue Mischung.
Die bäuerlich geprägten Arbeitsimmigranten brachten ihre Lebensweise mit in die Kolonien und Wohngebiete. Eine weitere Einnahmequelle erschlossen sich viele Familien, indem sie ein Stück Land pachteten oder einfach bearbeiteten. Das Stück Land lag nur in den Musterkolonien direkt hinter dem Haus. Mit dem Bergarbeiterlohn konnte die wirtschaftliche Existenz der Familie nicht gesichert werden. Auf dem Stückchen Land zogen sie Kartoffeln und Gemüse für die Selbstversorgung. Gezogenes aus dem Grabenland oder dem Kleingarten war mehr als ein guter Ersatz für die frischen Zutaten vom Markt. Die Menschen hier liebten und bearbeiteten den Boden, und der Boden gab ihnen die Geschenke- unten die Kohle und oben das Gemüse. Der größte Teil des geernteten Gemüses wurde eingemacht oder eingeweckt, benannt nach Weck, dem Hersteller von Einmachgläsern.
Die Bergarbeiterfamilien hielten sich zudem Kaninchen, Geflügel und Ziegen. Für die Tiere wurden eigens Stallungen hinter den Koloniehäuschen errichtet. So meckern Bergmannskühe (Ziegen) hinter den Koloniehäuschen und der Kawenzmann (Kanickel) raschelt im Stall.
Heimischer Fisch für den Handel und für die Gastronomie kommt aus den Teichen der Region. Die Bewirtschaftung von stehenden Gewässern im Westfälischen, im Norden des Reviers, oder der aufgestauten Bäche an den Ausläufern des Sauerlandes im Süden des Reviers, war auch eine Reaktion auf die Verschmutzung der Flüsse in der Region. "Tu´Butter bei die Fische" forderten die Bergleute nicht nur beim allwöchentlichen Heringsbraten. Die Worte bekamen Flossen.
Das Ruhrgebietsdeutsch war immer ein historischer Spiegel der Region. Klar das der "melting-pot" deshalb viele Worte und Wendungen aus dem Jiddischen, aus der polnischen Sprache und auch regionale Varianten aus dem Oberschlesischen hat und Dialekte aus dem Niederdeutsch und Westfälischen mit der hochdeutschen Variante verschmolzen. Aber auch herrlich skurrile Neuschöpfungen, die die ehrliche und offene Sprache des Reviers kennzeichnen, wurden erschaffen. So weiß man nur hier, dass mit Ärpelschlot der Kartoffelsalat , Matschare etwas Essbares meint und dass bei Zwistigkeiten nicht nur zur Weihnachtszeit der Panhas am Christbaum hängen kann.
Panhas ist auch ein Stück Ruhrgebiet. Die Arbeitsschritte bei der Herstellung der Urmasse sind wie folgt: Wasser in den Töpfen erhitzen und wenn es kocht, werfen wir Schweinefleisch hinein, Backen meist oder Kopffleisch. Zwei Stunden kocht das Fleisch. Dann passieren wir den Sud, das Fleisch wird klein geschnitten. Nun kippen wir Schweineblut hinzu und Buchweizenmehl. Dann die Gewürze, Salz, Pfeffer, Nelke, Majoran, Thymian – nur eine Prise, dann geriebene Zwiebel, und Zucker. In eine Form gebracht, erkaltet und in Scheiben geschnitten und dann zu Hause in der Pfanne mit Schmalz gebraten. Wirklich ein Genuss, im Handel angeboten wird er nur in den Wintermonaten.
Im Ruhrpott darf´s gern immer handfest sein. Wo viel Arbeit ist, da wird ordentliche zugelangt. Und so ist das Essen der Kumpel nicht raffiniert, sondern einfach und nahrhaft. Gut und modern zubereitet aber ein Gedicht. In der Kohlengrube gibt es keine Kantine. Der Bergmann nahm sich ein "Fresspaket" mit an den Arbeitsplatz. Vor Ort wurde dann gegessen. Die "Dubbels" waren und sind jene doppelte Kniften (reich belegte Brote) in Zeitungs- oder Butterbrotpapier verpackt und in das Grubentuch gewickelt, in das man beim Hinausgehen aus der Grube Stücke Holz für den eigenen Ofen daheim mit hinausschmuggelte – das sogenannte Mutterklötzchen. Dazu kalter oder lauwarmer Kaffee. Bier gab es erst abends. In der blechernen "Teepulle" eines Stahlkochers konnte es schon dagegen mittags zu finden sein.
Aber es gab auch die 'Feine Kost' für die Zechenbarone in ihren Stadthäusern. Die Herrschaften vertafelten so viel Geld an einem Tage wie das Dienstmädchen in einem halben Jahr an Lohn bekam (das war 1911).
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